Seit zwei Jahren sind die Bachschule und die Gemeinschaftsschule Stadtmitte in Neunkirchen im Projekt „Schulen stark machen“.
Das Konzept überzeugt, sind die Schulleiter Michael Klepper und Uwe Sander sicher.
Der Ort hat etwas Romantisches. Einladend scheint wärmende Frühjahrssonne über das grüne Klassenzimmer. Holzbänke und Tisch, umsäumt vom ersten hohen Gras, begrenzt durch Beerensträucher. Ein bisschen Abenteuerunterricht am Rande der Blies. Allein der erwartbare Lärm von Schülern fehlt. Ein Vormittag an der Bachschule in Neunkirchen in den Tagen der Corona-Zwangspause. Lärmende Schüler sind zwar Fehlanzeige, aber es herrscht geschäftiges Treiben. Auf Tischen aufgestapelt liegt kopiertes Unterrichtsmaterial.
Im Zweifel nehmen Lehrer das mit und bringen es den Schülern nach Hause, berichtet Schulleiter Uwe Sander. Seine Grundschule sei „speziell, aber schön“. Im Polit-Deutsch der Kultusministerkonferenz heißt so etwas: „Schule in sozial schwierigen Lagen“. 85 Prozent der Schüler haben ausländische Wurzeln.
Die Bachschule ist eine von sechs Grundschulen im Saarland im Projekt „Schulen stark machen“. Die Gemeinschaftsschule Neunkirchen-Stadtmitte ist eine der sechs Projekt-Gemeinschaftsschulen. Deren Leiter Michael Klepper ist mit ähnlichen Herausforderungen im selben Umfeld der Kreisstadt konfrontiert. „Schule wie früher funktioniert nicht mehr“, sind sich beide einig.
Für Standorte mit diesen speziellen Herausforderungen ist das Projekt „Schulen stark machen“ entwickelt worden. Am Anfang steht zunächst, „sich selbst zu vergewissern“ in diesem „speziellen Umfeld“, sagt Klepper, und daraus eine „Vision für die Entwicklung“ zu erarbeiten. „Wir wollen unseren Schülern Teilhabemöglichkeiten eröffnen“, betont er. Das wollen im Grunde alle Schulen, für die spezielle Schülerschaft ist es aber eben auch eine spezielle Aufgabe.
Dass die Projektschulen eng zusammenarbeiten, gehört zum Konzept, ist auch naheliegend, wenn man vor vergleichbaren Aufgaben steht. Bislang waren Schulen und Lehrer weitgehend auf sich selbst gestellt. Seit es das Projekt gibt, „wird ganz anders kooperiert“, unterstreicht Klepper. Das gilt sowohl intern als auch mit den anderen Projektschulen.
Teilhabemöglichkeit eröffnen
„Wichtig ist gedankliche Offenheit“, um neue Konzepte zu entwickeln – und auch ein Stück Mut gehöre zu einem Experiment mit neuen Wegen, betont Klepper: „Wir werden auch Fehler machen.“
In Neunkirchen ergänzen sich die Projektschulen mit ihren Profilen. „Wir gehen mehr über Sport zur Integration“, sagt Sander über die Bachschule. Für Klepper steht eher das Konzept der Erlebnispädagogik im Vordergrund. Berührungspunkte sind naheliegend. Jede Schule gehe zwar ihren eigenen Weg, aber letztlich verfolgten alle dasselbe Ziel, und das sei gewiss „nicht das Ziel, einen Mikrokosmos zu verwalten“, formuliert Sander etwas plakativ.
Deshalb schätzen beide auch ein weiteres wichtiges Standbein im Projekt: die Begleitung von externen Experten, sogenannten Coaches, die ihre eigene Erfahrungen aus anderen Standorten aber mit ähnlichen Strukturen einbringen. Der „Blick von außen“ sei wichtig, aber es gebe „keine Blaupausen“, die einfach übertragbar seien, stellt Uwe Sander fest. „Jede Schule hat ihren eigenen Entwicklungsansatz.“
Deshalb sei es wichtig, dass die Coaches „uns keine Dinge aufdrücken“. Aber die Beratung sei „top und hilft“. Insbesondere bei der Arbeit an der Schulentwicklung. „Das müssten eigentlich alle Schulen machen“, ergänzt Klepper, und fügt hinzu: „Alle Schulen bräuchten eigentlich den Blick von außen.“
Die Neunkircher Projektschulen mit ihrem hohen Anteil bulgarischer Schüler und deren familiäres Umfeld stehen vor anderen Fragen als beispielsweise die Projektschulen in Völklingen und einem hohen Anteil türkischstämmiger Kinder oder Lebach im Umfeld der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge. Eine gemeinsame Erfahrung dürfte aber sein, was Klepper feststellt: „Sie können nicht inkludieren ohne die Eltern.“ Das klingt etwas akademisch, aber in Neunkirchen hat man gerade in der Corona-schulfreien Zeit damit spezielle und teils überraschende Erfahrungen gemacht, insbesondere durch das große Engagement, sich um möglichst jeden Schüler, der in dieser Zeit zu Hause bleiben musste, zu kümmern. Über Whatsapp-Gruppen bis zum klassischen Telefon – und nicht zuletzt nicht selten mal persönlich vorbeizufahren. Eltern, die sonst Schule eher distanziert gegenüber stünden, hätten ganz neue Eindrücke durch dieses persönliche Kümmern gewonnen. Noch nie sei die Wertschätzung so groß gewesen. Ob das zu einem vertrauensvolleren Verhältnis beiträgt, jetzt, wo Schulen langsam zurück in einen neuen Alltag unter Corona-Bedingungen finden, ist noch eine offene Frage.
Gedankliche Offenheit und Mut zum Experiment
Aber diese Zeit habe auch gezeigt, dass „Sünden der Vergangenheit geradezu explodieren“, meint Sander. Er spielt dabei auf die „digitale Ungleichheit“ an, die sich in diesen Zeiten gezeigt habe, die zu „Bildungsverlierern“ führen könne. Wobei „Digitalisierung ein Teil moderner Schule, aber nicht der Teil“ sei. Spätestens an diesem Punkt setzt eine intensive pädagogische Diskussion an. Etwa über das Konzept „Neue Autorität“, über Fragen neuer Kommunikationsstrukturen, über die allgemeine Erwartungshaltung an Schule, die „alles machen soll“ und sich dabei auch schon mal verzettelt. Womit man ziemlich mittendrin sein dürfte in dem, was in der „Werkstatt“ von „Schulen stark machen“ so bearbeitet wird.
Dass das Projekt bereits einiges bewirkt und noch mehr verändern kann, lässt sich vielleicht am besten an dem Satz ablesen, den beide Schulleiter unterschreiben würden: „Wir sind gut. Aber uns bewegt, dass wir besser sein können.“
Die Erfahrungen der coronabedingten Pause – und vor allem auch die aus den ersten Schultagen danach – dürften da noch etliche neue Erkenntnisse beitragen. War und ist das Projekt „Schulen stark machen“ bereits ein Weg zu Schulen der Zukunft, könnten sich auch hier die Corona-Erfahrungen wie ein Beschleuniger auswirken.
Das könnte beispielsweise für die Erfahrungen der vergangenen Wochen gelten, meint Klepper: „Wir haben festgestellt, dass Digitalisierung, wenn sie konsequent und an den Bedürfnissen der Schüler angepasst umgesetzt wird, einen guten Weg in Richtung Schulentwicklung darstellt.“ So habe man festgestellt, dass Schüler „sich auch auf selbständiges und eigenverantwortliches Lernen einlassen“, natürlich mit Ausnahmen. Wenn aus dieser Erfahrung die richtigen Schlüsse im Blick auf Aktivierung, Inklusion, Integration und Partizipation gezogen und die konsequent umgesetzt würden, könnten Schulen sich „in grundsätzlichen Bereichen“ verändern.
Oliver Hilt
Quelle: 22.05.2020 magazin-forum.de/de/node/18857 [download am 24.05.2020]
Fotos: Thomas Wieck